Rezension – Die Geschichte der Kunst

Die britische Kunsthistorikerin Charlotte Mullins führt durch die Geschichte der Kunst, von der Zeit vor 100.000 Jahren bis ins Jahr 2018. Sie zeigt die Entwicklung von den ersten Malereien und Figuren der Frühsteinzeit bis zu heutigen NFTs. Dabei nimmt sie nicht nur europäische weiße Künstler in den Fokus, sondern widmet sich Künstler*innen aus aller Welt. Sie zeigt Verbindungen zwischen den Stilrichtungen und überraschende Einflüsse auf. Und schreibt so eine Geschichte der Kunst, die nicht eurozentristisch, weiß und männlich ist.

Vielen Dank an den C.H.Beck-Verlag und NetGalley.de für dieses Rezensionsexemplar!

Ich bin keine Kunstliebhaberin – wenn ich ins Museum gehen, dann selten in Kunstmuseen. In meinem Zimmer hängen nur Fotografien von meinen Lieben und ich war schon zu Schulzeiten kein Fan der Bildinterpretation. Aber eine Geschichte der Kunst, die sich vom Eurozentrismus abwendet und auch über Frauen und nicht-binäre Menschen schreibt?! Die wollte ich schon lesen!

Und ich wurde nicht enttäuscht: Die Geschichte der Kunst ist ein spannendes Sachbuch voller Geschichten, Bilder, Informationen. Dabei wendet sich Mullins häufig an ihre Leser*innen; sie spricht quasi aus dem Buch heraus mit uns. Das habe ich bisher in Sachbüchern nicht gelesen und mir hat es gut gefallen. Das folgende Zitat zeigt dies auf:

[Ihr Ehemann] behinderte [Marie Braquemonds] Karriere mehr, als dass er sie förderte, da er eifersüchtig auf ihren Erfolg war. Haben Sie schon einmal von ihr gehört? Nein? Dann wissen Sie jetzt, warum.

63 %

Zu jedem Bild, das Mullins detailliert vorstellt, schreibt sie auch über die gesellschaftlichen Einflüsse auf die Künstler*innen und welchen Einfluss diese wiederum hatten. Und sie räumt dabei häufig direkt noch mit den Fehlvorstellungen auf, die wir über die Künstler*innen oder ihre Werke haben.
Sie macht die Diskrepanzen zwischen den Motiven und der Realität deutlich. So schreibt sie einmal über ein Bild, das Zuckermühlen im US-amerikanischen Süden sehr idyllisch darstellt, dass die Arbeit dort jedes Jahr Tausende von Sklav*innen das Leben kostete (46 %).

Viele der vorgestellten Bilder oder Figuren wurden von Frauen erstellt (vermutlich ist schon das ein Alleinstellungsmerkmals dieser Kunstgeschichte). Wenn Mullins von diesen erzählt, muss sie (viel zu häufig) erwähnen, dass die Frauen bis heute im Schatten ihrer Väter, Männer oder Mentoren stehen, obwohl sie selbst herausragende Künstlerinnen waren (auch dafür ist obiges Zitat ein gutes Beispiel). Bei manchen der im Buch geteilten Informationen kam mir richtiggehend der Dampf aus den Ohren. Ein Beispiel: noch heute sind nur 10 % der ausgestellten Kunstwerke in der Abteilung für moderne Kunst des Metropolitan Museum of Art in New York von Frauen! (88 %)

Die Benin-Bronzen sind die Meisterwerke dieses Kontinents – und die Europäer haben sie ihm gestohlen.

68 %

Auch bezüglich People of Color und der Rezeption ihrer Kunst findet Mullins deutliche Worte. Sie räumt Kunstwerken von Schwarzen US-Amerikaner*innen ebenso Raum ein wie der von australischen Ureinwohner*innen, afrikanischen Künstler*innen und Südamerikaner*innen. Und auch hier muss Mullins immer wieder betonen, dass die Kunstwerke im Zuge des Kolonialismus gestohlen und nach Europa gebracht wurden. Dort wurden sie dann nicht als Kunst, sondern als „exotische Artefakte“ (69 %) ausgestellt.

Die meisten Künstler*innen und ihre Werke werden nur sehr kurz vorgestellt. Bei nur 464 Seiten Buch und 100.000 Jahren Kunstgeschichte ist das aber sehr berechtigt. Es eignet sich wirklich gut für Leute wie mich, die kaum bis gar keine Ahnung von Kunst haben. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass auch kunstbegeisterte Menschen hierin Neues erfahren können. Charlotte Mullins zog mich mit ihrem Schreibstil in den Bann und ich empfehle dieses Buch von ganzem Herzen!

Ich hatte das eBook zunächst auf meinen tolino-Reader geladen. Darauf werden Bilder aber nur in schwarz/weiß dargestellt und das wurde dem Buch nicht gerecht. Solltet ihr euch das eBook besorgen, dann lest es also auf einem Display, das Farbe wiedergibt. Und legt ein internetfähiges Gerät daneben, denn einige Kunstwerke sind beschrieben, aber nicht abgebildet. Ich habe schlussendlich auf meinem Tablet gelesen und die Bilder auf dem Handy angeguckt, sodass ich Text und Bild nebeneinander vor mir hatte.

Wer wird diese Geschichten der Zukunft erzählen? Warum nicht du?

94 %

Bewertung: 5 von 5.

Über Charlotte Mullins:
Mullins wurde 1972 geboren. Sie studierte u.a. am Sotheby’s Institute in London, UK, und promovierte an der Universität von Sussex.
Sie hat bereits zahlreiche Bücher über Kunst veröffentlicht, ist Kunstkritikerin für das Magazin Country Life und schreibt für Veröffentlichungen wie den Telegraph. Daneben hält sie Vorträge für Museen und Galerien und hat bei zahlreichen Kunstpreisen als Jurorin mitgewirkt.
Von ihr erschien 2019 bereits das Buch A Little Feminist History of Art.
Mullins lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in London.
Quelle: Website der Autorin

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Originaltitel: A Little History of Art | Übersetzer*innen: Bernhard Jendricke, Christa Prummer-Lehmair, Thomas Wollermann
Hardcover: ISBN 978-3-406-80622-3 | 38 €
eBook: ISBN 978-3-406-80623-0 | 28,99 €
464 Seiten | erschienen 2023

Verlagswebseite zum Buch

Website von Charlotte Mullins


Bildquellen
Cover: C.H.Beck
Autorin: Website von Charlotte Mullins

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