Rezension – Totgeschwiegen

Statistisch gesehen wird in Österreich nahezu jedes Tötungsdelikt aufgeklärt, gleiches gilt für Deutschland mit einer Aufklärungsquote von 95% in 2018. Aber Gerichtsmediziner schätzen, dass jedes zweite Tötungsdelikt gar nicht erst entdeckt wird. Viele Faktoren spielen dabei eine Rolle, z.B. dass immer weniger Autopsien vorgenommen werden, bei denen Morde entdeckt werden könnten. Trescher beschreibt einige der Morde, die aus unterschiedlichsten Gründe beinahe nicht entdeckt worden wären und damit auch ein System, dass sich gerne mit niedrigen Mord- und hohen Aufklärungsraten schmückt und das Problem dabei ignoriert.

Vielen Dank an Edition QVV für dieses Rezensionsexemplar!

Seit etwas mehr als einem Jahr studiere ich mittlerweile Jura. Eine winzig-kleine Sucht nach true-crime-Geschichten hatte ich schon vorher, die hat aber seitdem noch zugenommen. Oftmals verliert man dabei den Glauben in unser Rechtssystem (der bei aktuellen Entwicklungen ohnehin erschüttert ist) und Totgeschwiegen hat dabei nun nicht unbedingt geholfen. Es ist auch von einem persönlichen Standpunkt aus beunruhigend zu lesen, wie leicht man mit einem Tötungsdelikt davon kommen kann.

In Totgeschwiegen wird hauptsächlich das österreichische System beschrieben, aber in Ansätzen geht es auch im die Situation in Deutschland, zudem kommen auch deutsche Experten zu Wort. Weiter unten habe ich außerdem einige Beiträge verlinkt, die sich explizit mit der Situation in Deutschland beschäftigen.

Obwohl es oft um statistische Daten geht und es auch um eher trockene Themen wie politische Entscheidungen und personelle Probleme, lässt sich das Buch richtig gut lesen. Das liegt vor allem daran, dass viele Einzelfälle dargestellt werden. Dadurch sind es eben nicht nur statistische Zahlen, beschrieben ist die Trauer von Angehörigen, ebenso wie ihre Wut und Verzweiflung, wenn Behörden nicht tätig werden.
Anhand dessen wird auch gezeigt, aus welchen Gründen bei verdächtigen Toden nicht ermittelt wird: mangelnde Zeit oder auch, weil es zu kompliziert erscheint, sich eingehend damit beschäftigen zu müssen. Im Zusammenhang damit vielleicht auch die wichtigste Lektion, die ich aus diesem Buch mitgenommen habe: Familien müssen oftmals unglaublich viel Druck machen, damit Ermittlungen angestellt werden, wenn eine geliebte Person stirbt. Bei verdächtigen Umständen bei einem Todesfall im eigenen Umfeld sollte man immer einen Anwalt einschalten und eben auch mal ungemütlich werden.

Totgeschwiegen ist ein unglaublich wichtiges Buch, das auf ein großes Problem in unserer Gesellschaft aufmerksam macht: unterbesetzte Polizeireviere, ebenso wie unzureichend aus- oder fortgebildete Ärzte und Gesetzgeber, die zunehmend verhindern, dass Obduktionen durchgeführt werden.

„Das jetzige System lässt viele scheinbar perfekte Morde zu.“

Bernd Brinkmann (S. 40)

Bewertung: 5/5 Sterne


Über Thomas Trescher:
Trescher wurde 1980 geboren. Er studierte in Wien Publizistik und Politikwissenschaft und war Chef vom Dienst beim Magazin Datum. Zudem war er stellvertretender Chefredakteur bei kurier.at und ist seit 2018 Redakteur bei der Rechercheplattform Addendum. Mit dem österreichischen Justizsystem befasst er sich seit Jahren.
Totgeschwiegen ist sein erster Roman.
Quelle: Info im Buch

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Hardcover: ISBN 978-3-200-06546-8 | 22€
E-Book: ISBN 978-3-200-06675-5 | 17,99€
214 Seiten | erschienen 2019

Verlagswebseite zum Buch

Website von Mark Benecke, der das Vorwort zu Totgeschwiegen geschrieben hat.

Weitere Infos zum Thema:

Der Rechtsmediziner in Gießen und Marburg, Reinhard Dettmeyer, hat 2017 dem Spiegel ein Interview zum Thema unentdeckte Morde gegeben.

In der Serie [w] wie wissen hat die ARD Anfang diesen Jahres einen Beitrag zu unentdeckten Morden gesendet. Es gibt ein Video ebenso wie einen Artikel zu dem Thema.

Der Podcast ZEIT Verbrechen hat sich in drei Folgen damit auseinandergesetzt, wie Tötungsdelikte übersehen werden können: einmal, wenn Polizisten nicht auffällt, dass es sich um ein solches handelt, wenn Mediziner (hier im Sinne von Krankenhauspersonal und Hausärzte) und selbst Rechtsmediziner nichts bemerken.

Bildquellen
Autor: QVV
Cover: QVV

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